für altus, bassklarinette und akkordeon

Dauer ca. 3 min
UA: 7. November 2024 in Zwickau,
weitere Aufführungen 13. & 14. November 2024
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(for English version see below)
»Hinunter ist der Sonne Schein« gehört insbesondere in Melodie und Satz (Melchior Vulpius 1609; in: Ein schön geistlich Gesangbuch) seit Jugendtagen zu meinen Lieblings-Abendliedern, das ich auch oft meinen Kindern zum Einschlafen gesungen habe.
Für die vorliegende Adaption des Liedes in ein heutiges Stück wollte ich eine neue, heutigere Textfassung verwenden, die eher meinen eigenen Themen und denen unserer anthropozänen Gegenwart entspricht: in unserer so sehr von uns selbst gemachten Welt ist es schwer, mit etwas umzugehen, was einem nur geschenkt werden kann. Schlaf und Schlafenszeiten sind so relativ wie nie, nicht nur, wenn jemand Schichtdienste hat oder die Zeitumstellung ansteht. Das Dunkle und das Helle eines Tages kann durch unsere technischen Errungenschaften fast völlig kompensiert werden. Fast, denn trotzdem läßt Schlaf sich nicht beliebig verschieben. Daher suche ich auch selbst nach einem Umgang mit dem „Tun und dem Ruh’n“.
Dazu kommen Verschiebungen religiöser Sichtweisen, ein Suchen nach einem Gottesbild ohne die traditionellen anthropomorphen und machterhaltenden Zuschreibungen und ohne das Erblinden vor Realitäten zu verlangen. Ich suchte nach einem adäquaten Text für den Ton des Stücks, für einen menschlich-annehmenden Blick, einen, der Beginn und Ende als Ganzes neu zu umfassen erlaubt und der die Dualität von Hell und Dunkel als Gut und Böse aufzulösen vermag.
So entstanden der Impuls dazu und die Arbeit daran, vom Text von Nikolaus Hermann (1560) nur die erste Zeile zu belassen und ihr einen völlig neuen Text folgen zu lassen, der auch ‚einfach so‘ zur Melodie gesungen werden kann.
Das wechselweise, ja dialektische Verhältnis von Dunkel und Hell spiegelt sich in der Musik – im Lauf der Melodie durch die Stimmen etwa oder in ihrem Einbetten in Farb- und Zeitverläufe.
Das alles mag viel zu viel für so ein kurzes kleines Schlaflied sein und zu bedeutungsbeladen erscheinen. Ich bin selbst überrascht davon. Und mir wird klar, wie viel an Klärung und Klärungsbedarf an so einem kleinen Schlaflied hängt.
Es geht nicht um die Bedeutung der Musik, sondern um die durch sie wachgerufenen Schichten, um in Einfachheit und in bloßem, empfindenden Singen, Spielen und Hören einfach müde sein und einschlafen zu können.
Live-Mitschnitt im Konzert »NACHTGEFLÜSTER damals und heute«
in der Reihe 3auf1 des
Duo Stock – Wettin mit Christoph Dittmar, Altus und Virginal
Dresden, Alte Fabrik, 14. November 2024
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Hinunter ist der Sonne Schein,
die Nacht erfrischt, beruhigt, heilt
von Hitze, Müh’, rastloser Glut,
am Mond das müde Aug’ verweilt.
Du, wer bist du, den ich nicht seh’,
im Dunkeln nicht, auch nicht im Licht,
bist Du das Hörende, in dem
das Helle wie das Dunkle ruht?
Nachtlichternd such ich mittendrin
das Wie von Ende und Beginn,
wann Tag erlischt, wie Nacht erwacht,
wann Zeit zum Ruh’n ist, wann zum Tun.
Nacht schickt mir Träume in den Tag,
traumreich bemalt mein Tag die Nacht,
auf Bilderfahrt von Tag nach Traum
bitt’ ich, lass mich einschlafen nun.
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Photos: ©friedemannstolte – Biennale Arte Venezia 2024,
Part of the German Pavillon, Yael Bartana, Light to the Nations, Generation Ship
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summer evening song
- the sun is shining down –
for altus, bass clarinet & accordion
The melody and setting of ‘Hinunter ist der Sonne Schein’ (Melchior Vulpius 1609; in: Ein schön geistlich Gesangbuch) have been among my favourite evening songs since my youth, and I have often sung it to my children to help them fall asleep.
For this adaptation of the song into a contemporary piece, I wanted to use a new, more present-day version of the text that corresponds more to my own themes and those of our anthropocene present: In our world so much built by our own making,, it is difficult to handle something that can only be given to us as a gift. Sleep and bedtimes are more relative than ever, and not just when someone is working shifts or the clock is about to change. The dark and light of a day can be almost completely compensated by our technical achievements. Almost, because sleep cannot be postponed at will. That is why I am also looking for a way to deal with doing and resting.
In addition, there are shifts in religious perspectives, a search for an idea of God without the traditional anthropomorphic and power-preserving attributions and without demanding blindness to realities. I was looking for an adequate text for the tone of the play, for a humanly accepting view, one that allows the beginning and the end to be embraced as a whole in a new way and that is able to dissolve the duality of light and dark as good and evil.
This gave rise to the impulse and the work to leave only the first line of the text by Nikolaus Hermann (1560) and to follow it with a completely new text that can also be sung ‘just like that’ to the melody.
The alternating, in fact dialectical relationship between dark and light is mirrored in the music – in the course of the melody through the voices, for example, or in its embedding in colour and time progressions.
All this may be far too much for such a short little lullaby and seem too laden with meaning. I am surprised by this myself. And I realise how much clarification and need for clarification there is in such a short lullaby.
It’s not about the meaning of the music, but about the layers it brings to life, so that we can simply be tired and fall asleep in simplicity and in in pure, sensitive singing, playing and listening.