für Barockcello (2020)
neue RICERCARI über die ricercari von Domenico Gabrielli (1651 – 1690)
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ricercar I – letzten endes
- alla fin fine – vier recycling-stufen –
über das Ricercar II von Domenico Gabrielli
Dauer: ca. 8 min
Uraufführung:
im Rahmen des Konzerts beim
Alte Musik Fest Friedenau:
Die gestohlene Zeit
trio tiefsaits (Berlin):
Alma Stolte | Barockcello
Donnerstag, 21.10.2021
um 20:00 Uhr
Berlin, KLICK Kino, Windscheidstraße 19
Aufführung im Rahmen von
„Komponieren in Sachsen“ –
Doppelporträtkonzert Friedemann Stolte & Tomas Westbrooke
Alma Stolte | Barockcello
Mittwoch, 19.04.2023
um 19:30 Uhr
HfM Dresden, Konzertsaal
Donnerstag, 20.04.2023
um 19:30 Uhr
HMT Leipzig, Grassistr. 8, Probesaal, Raum 304
ricercar II – von zeit zu zeit
über das Ricercar VII von Domenico Gabrielli
Dauer: ca. 6:30 min
Uraufführung:
im Rahmen des Konzerts beim
Alte Musik Fest Friedenau:
Die gestohlene Zeit
trio tiefsaits (Berlin):
Mirjam-Luise Münzel | Barockcello
Donnerstag, 21.10.2021
um 20:00 Uhr
Berlin, KLICK Kino, Windscheidstraße 19
ricercar III – der springende punkt
- über den tipping point –
über das Ricercar V von Domenico Gabrielli
Uraufführung:
im Rahmen des Konzerts beim
Alte Musik Fest Friedenau:
Die gestohlene Zeit
trio tiefsaits (Berlin):
Anna Reisener | Barockcello
Donnerstag, 21.10.2021
um 20:00 Uhr
Berlin, KLICK Kino, Windscheidstraße 19
Dauer: ca. 8 min
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Aufführung aller drei ricercari im Projekt
»vom suchen und finden – alte und neue ricercari«
für Barockcello solo
Musik von Domenico Gabrielli & Friedemann Stolte
So, d. 12. November 2023
um 17 Uhr
Dresden, KulturKirche Weinberg Trachenberge, Albert-Hensel-Str.3
Alma Stolte, Barockcello
Clarissa Kanske, Moderation
Gesprächskonzert
Eintritt frei
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»letzten endes«
entstand im Empfinden der Polarität zwischen (zirkularer) Kontinuität und Endlichkeit.
Das musikalische Material wird durch verschiedene Zustandsänderungen geschickt, die man auch als recycling-Stufen bezeichnen könnte. Sie haben mit Alter, Wiederholung, Nachhaltigkeit und Endlichkeit zu tun.
Es sind Zyklen des Zuendegehens als Bedingung für Wiederverwendung. Fine I, fine II, fine III. Vor dem Recyceln steht das Wegwerfen, das Ende einer ‚Brauchbarkeit‘. Danach bekommt das Material eine neue Form und Konsistenz, obwohl das Grundmaterial bleibt: die letzten vier Töne des ersten Teils bei Gabrielli. Was sich ändert, sind Dichte, Druck, Fragen klanglicher Konsistenz. Sie haben auch zu tun mit zeitlichen Aspekten – mit der Notwendigkeit, ein mögliches Zu-Ende-gehen zu zeigen, bei dem sich ‚letzt-endlich‘ die Frage stellt: was wird dann sein?
Diese Suche äußert sich im langsamer werdenden Tempo von Teil zu Teil bis hin zur ‚Zeitlosigkeit‘ des letzten Teils. Als Anteil einer Veränderung des Materials, einer Teilchendichte und -geschwindigkeit, die im Stillstand endet, im ‚Entschwinden‘ des Volltons im Flageolett, in den Unregelmäßigkeiten der rhythmischen Strukturen zum Stillstand, zum letzten Ende hin, all’ultima fine – oder was wir dafür halten.
live-Mitschnitt Kulturkirche Weinberg Dresden am 12. November 2023
Alma Stolte, vc
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»von zeit zu zeit«
ist ein andersartiger Beitrag zum Navigieren durch die Schichten der Zeit. Der Bogen wird zum Signum aktiven Handelns und des bewußten, gegenwärtigen Umgangs mit den wie auch immer entstandenen Tönen. Als Gegenpol fungiert das Spielen von Tönen ohne den Bogen als etwas, das ‚irgendwie schon da ist‘.
Die musikalischen Figuren treten nicht in der Logik ihrer Entwicklung in Erscheinung, sondern sie wurden unter neuen Vorzeichen gemischt und stellen so auch keine zeitliche Linearität mehr dar. Vielmehr spiegelt sich das Driften zwischen den Tönen, Motiven oder Spielformen aus den verschiedenartigen Zeitschichten, Gegenwart und Vergangenheit, Jetzt und Erinnerung, in einer speziellen formalen Gestaltung: es gibt Abschnitte unbestimmter Reihenfolgen.
Ähnlich den Phänomenen der Demenz, in denen nicht nachvollziehbar ist, woher die Abwesenheit rührt und wohin die Erinnerung schweift, ist es auch hier nicht vorhersehbar, wie der Weg driftet, auch wenn es wieder und wieder ähnliche und assoziativ verbundene Motive sind.
Es sollte kein schon festgelegter Weg sein, der das Phänomen darstellt, sondern in der nicht vorhersagbaren Entscheidung der/des Interpretin/en vollzieht sich das Geschehen.
Für den Außenstehenden bleibt das Ganze ein Rätsel.
live-Mitschnitt Kulturkirche Weinberg Dresden am 12. November 2023
Alma Stolte, vc
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»der springende punkt«
folgt sehr stark dem Empfinden, daß es im Ricercar V von Gabrielli einen Umschlagpunkt gibt, in dem mir sofort in heutiger Betrachtung die Frage des tipping point entgegen kam. Die Idee eines Kipppunktes, wo etwas unwiederbringlich in etwas anderes fällt, breitet sich in verschiedenen Ebenen aus.
Wieder spielt die Handhabung des Bogens eine Rolle, hier in seiner ‚Lage‘ im Verhältnis zu Griffbrett und Steg, die dem Empfinden entspricht, etwas zunächst zurückzuhalten, was dann über den Punkt, den Steg springt. Eine energetische Entladung, die sich rückkoppelnd auswirkt und ‚zurückschwappt‘. Die überstrapazierte vernunftgebundene Geduld, deren innewohnende Ungeduld endlich umschlägt in tätige Energie. Oder eben auch eine Form dystopischer entfesselter klimatischer Thermodynamik, beides liegt merkwürdig übereinander.
Dafür nutze ich im ersten Teil wiederum das harmonische Modell bei Gabrielli in Form von sechs neugestalteten harmonischen Feldern, zwischen denen der Interpret vertikal wechselt. Bis dann im Umschlagpunkt das Vertikale in das zeitliche Horizontale springt und sich in der Spielweise hinter dem Steg und in nicht mehr tonfixierter Klangwelt auflöst, um beim ‚Zurückschwappen‘ die alten Fixpunkte mit der neuen Energie in Bewegung zu bringen.