für bassposaune und orgel (2022)
Dauer: etwa 8 min
UA: im Rahmen des Projektes
INVOCATIONEN – Neue Musik für Bassposaune und Orgel
Werke von Thomas Buchholz, Christian Diemer, Matthias Drude,
Thomas Leppuhr, Hendrik Reichardt, Friedemann Stolte und Manfred Weiß
Konzert mit
Hendrik Reichardt, Bassposaune
Prof. Martin Schmeding, Orgel
Samstag, d. 2. Juli 2022,
um 20 Uhr
Leipzig, Propsteikirche St. Trinitatis, Nonnenmühlgasse 2
Sonntag, d. 17. Juli 2022
um 19 Uhr
Löbau, St. Nikolaikirche, Johannisplatz 1 / 3
Dienstag, d. 22. November 2022
um 19 Uhr
Mittweida, Stadtkirche „Unser Lieben Frauen“, Kirchplatz 1
BITTE WARME KLEIDUNG MITBRINGEN!
live-Mitschnitt Leipzig, Propsteikirche St. Trinitatis, 2. Juli 2022
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Hinter allen musikalisch-strukturellen Überlegungen steht eine heimliche Widmung. Sie entstand mit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ich mochte zuerst nicht auf zu direkte Weise Bezug nehmen, da die Bedeutungsgebungen in der Musik schnell zu simpel und damit trivial werden. Aber die Gestaltung und Ausrichtung des Stücks spiegelt in großem Maß die Erschütterung des Umstands eines solchen Krieges.
Gewidmet ist das Stück meinem Großvater. Ich habe ihn nie kennengelernt. Er ist in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs irgendwo im Osten ‚gefallen‘, wie man so sagt. Er hat es geschafft, seine „halbjüdische“ Frau, seine Kinder und seine jüdische Schwiegermutter zu schützen – sie haben im Berlin der Nazizeit überlebt – und hat selbst das Leben verloren.
Die Spuren des Kriegs bleiben immer über Generationen.
Viele Bedingungen und Aspekte sind jetzt anders und brauchten ein Umdenken. In jedem Fall sind sie von meinen Erfahrungen als Pfarrerskind in der DDR geprägt – und die haben auf verschiedensten Ebenen mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs zu tun.
Der Titel ist dem Anfang des 130. Psalms entnommen, der in der hebräischen Sprache tatsächlich im unbestimmten Plural redet: »aus Tiefen«, mi_ma’amakim.
Bemerkenswert finde ich, dass im Psalm der Ausdruck davor wörtlich etwa »Lied der Anhöhe« heißt. Diese Polarität aus Tiefe und Höhe empfand ich als einen Raum der Vergegenwärtigung, die für die Entstehung des Stückes maßgeblich war, ohne daß mir eine Ausdeutung des konkreten Psalms im Sinn stand.
Daher rührt auch der Zusatz »ein psalm«, der in mehrfacher Hinsicht für bestimmte Intentionen steht, etwa um die generell im Psalm künstlerisch gestaltete Haltung des Gesprächs eines Ich mit seinem ‚Selbst‘.
In traditionell religiösem Rahmen würde man auch von ‚Gebet‘ sprechen.
Beide Instrumente fungieren als innere Dialogpartner von einer wie als ein Ich gedachten Einheit, und das hat Einfluß auf die musikalische Struktur.
Für den Hintergrund verweise ich auf Martin Bubers ‚Dialogisches Prinzip‘ oder auch auf Foucaults Konzept des Umgangs mit dem Selbst.
Im Sinne meiner Grundfrage von „Spiel“ entsteht – auf dieses Stück bezogen – eine Art rituelles (‚gespieltes‘) Vollziehen des Dialogischen Prinzips.
Das bedeutet: die Grundregel besteht aus empathischem Hören, das ein (kompositorisch vor- bzw. aufbereitetes) Mitgehen, Öffnen oder auch Dagegenhalten beinhalten kann.
Weiterhin steht »ein psalm« für das formale Charakteristikum des Psalms, das man den parallelismus membrorum nennt und das die formale Gestalt benennt, in der die Aussage der ersten Vershälfte in der zweiten in anderer Ausdrucksweise wiederholt oder konterkariert wird. Das war für mich Vorlage für eine formell zweigliedrige Gestaltung.
»ein psalm« steht auch für die betrachtende (‚meditative‘) Wiederholung von etwas in ständiger Veränderung. Das geht über die Wiederholung einer ersten Vershälfte in der zweiten hinaus.